From Fibers to F-ABRIC

DER STOFF DER ZUKUNFT IST AUS BASTFASERN VON GESTERN

In Europa produzierte, strapazierfähige Stoffe aus europäischen Nutzpflanzen, die vollständig kompostierbar sind: Was wie eine Utopie klingt, ist der neuste Wurf der Freitag Brüder. Zwanzig Jahre nachdem Daniel und Markus Freitag zum ersten Mal einer ausgedienten LKW-Plane ein nächstes Leben als Kuriertasche schenkten, schenkt sich FREITAG jetzt ein neues, selbstentwickeltes Material.

«Wir denken und handeln in Kreisläufen», erklärt Markus Freitag die Unternehmensphilosophie. «Das zieht sich durch unser Leben. Vom Kompost im Garten bis zu unserem Lieblingstransportmittel, dem Velo. Und manchmal drehen wir uns auch im Kreis.» FREITAG stellt nicht nur Taschen nach diesem Prinzip her – auch für alltägliche Gegenstände wie Verpackungskartons wird eine nächste Verwendung gesucht, die dreckigen LKW-Planen werden mit Regenwasser vom Fabrikdach gewaschen und Bioabfälle kompostiert. Dass die in der Produktion und im Vertrieb tätigen FREITAG Angestellten mit 08/15-Workwear ausgerüstet werden, war den Freitag Brüdern daher schon lange ein Dorn im Auge. Vergeblich suchten sie nach nachhaltigeren und sinnvolleren Alternativen zum Angebot der globalisierten Textilindustrie aus Baumwolle und synthetischen Stoffen. «Vor etwa fünf Jahren haben wir uns dann entschlossen, dies selbst in die Hand zu nehmen und Kleider für unsere Mitarbeiter von Grund auf selber zu entwickeln. Das war zwar ein logischer, aber auch ein ziemlich gewagter Entschluss», sagt Daniel Freitag.

Mit der dunklen Ahnung, dass sie sich als Do-it-yourself-Taschen-Fabrikanten in den komplexen Prozessen der Textilproduktion schnell verirren würden, holten sich die Brüder Hilfe. Eigens für dieses Projekt stellten sie eine Textilingenieurin, eine Designerin und eine Musterschneiderin ein. Der Auftrag: Stoffe und Kleider zu entwickeln, die ohne Ressourcenverschwendung, endlose Transportwege und überflüssigen Einsatz von Chemie produziert werden. Die Textilien sollen zu fairen Bedingungen in der Nähe hergestellt werden und sowohl für den harten Einsatz in der Fabrik als auch für die noch härtere Party danach taugen. Einmal ausgetragen, soll man sie mit gutem Gewissen auf den Kompost werfen dürfen, wo sie ohne Rückstände biologisch abgebaut werden. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, ging man zurück zum Anfang der natürlichen Entwicklungskette: zur Faser. Die Wahl fiel auf Hanf und Flachs, beides europäische Bastfasern, deren Ökobilanz bezüglich Wasserverbrauch und Transportwege viel besser ist als jene von Baumwolle. Für den weicheren T-Shirt-Stoff werden die Bastfasern mit dem ebenfalls biologisch abbaubaren Modal aus Buchenholz gemischt. Die Globalisierung der Textilindustrie und der Vormarsch der einfacher zu verarbeitenden Baumwolle bedeuteten den Niedergang vieler europäischen Produktionsstätten. Die Entwicklungszeit von F-ABRIC war mit fünf Jahren entsprechend lang. «Wir hatten keine Ahnung, aber ziemlich viel Ausdauer», erklärt Daniel Freitag. Wo findet man Produzenten, die Bastfasern mischen, spinnen und zu einem Gewebe verarbeiten können, das in Bezug auf Widerstandsfähigkeit, Tragkomfort und Stil keine Wünsche offenlässt? Wer kann die Herkunft der Fasern und darüber hinaus die lokale Verortung der Verarbeitungsschritte aller Zulieferer garantieren? Und wie färbt man solche Textilien mit möglichst geringem Chemikalieneinsatz? Der Weg zu F-ABRIC war zeitraubend und mit Fehlversuchen gepflastert.

Ein kompostierbares Gewebe ist aber noch lange kein T-Shirt oder keine Hose, die dem biologischen Kreislauf entspricht. Deshalb sind bei FREITAG auch die restlichen Bestandteile wie Futterstoff, Label und Webband durchwegs biologisch abbaubar. Auf Nieten wird ganz verzichtet, und anstelle des günstigeren Standard-Nähgarns aus Polyester kommt ein kompostierbares Garn zum Einsatz. Mit einem besonderen Clou warten die Hosenknöpfe aus Metall auf: Damit die Kompostierbarkeit der Hose gewahrt bleibt, lassen sie sich an- und wieder abschrauben − ein patentierter Mechanismus, durch den Hosenknöpfe vielleicht dereinst zu begehrten Erbstücken werden. FREITAG verfügt nach fünfjähriger Entwicklungszeit und mehreren Mitarbeiter-Testrunden heute über Stoffe, die alle aus europäischen Fasern und im Umkreis von 2’500 Kilometern produziert werden und auf jedem Komposthaufen vollständig abbaubar sind. «Wir sehen FREITAG nicht als Fashion Brand – aber gut aussehen wollen wir trotzdem», sagt Markus Freitag. Genau wie er und sein Bruder seit zwanzig Jahren nur Taschen herstellen, die sie selber tragen würden, wurden auch die Hose und die Shirts, die ab November erstmals verkauft werden, nach diesem leicht egoistischen Kriterium entwickelt. F-ABRIC ist also keine Kleiderkollektion eines Taschenherstellers, sondern ein neues, selbstentwickeltes Rohmaterial − die Experimentiermasse der FREITAG Designer für Kleider, Taschen oder was immer ihnen auch einfällt.

ON THE ROAD TO F-ABRIC

Camera/Edit: Yves Scagliola, Music: Zigitros, Voice: Russell Hergert