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FREITAG History

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DIE GEBURT VON FREITAG

TEXT: OLIVER GEMPERLE / ERSCHEINUNGSJAHR 2016

Ich bringe hier mal wieder eine Geschichte, die ich schon hundert Mal erzählt habe. Ich kann sie beim Businesslunch auftischen, am Bartresen zum Besten geben oder beim Candlelight-Dinner vortragen.

Es ist der Klassiker vom armen Tropf, der in eine Wohngemeinschaft einzieht und kurz darauf erfährt, dass die Mitbewohnerin schwanger ist. Der arme Tropf, das bin ich.

Blenden wir zurück ins Jahr 1993: Nach ein paar Anläufen bin ich definitiv von zuhause aus- und in die Stadt gezogen. Nach Zürich, eine der abgefucktesten Städte der Welt. Im Zürich von 1993 tobt ein Drogenkrieg, der stillgelegte Bahnhof Letten sieht aus wie ein Schlachtfeld, und die Innenstadt ist nach Ladenschluss um 18 Uhr so tot als herrsche Ausgangssperre.

Als junger Mensch denkt man, hier läuft überhaupt nichts. Natürlich gehen wir trotzdem andauernd aus, in Kellerbars, an Partys in Unterführungen, Partys in besetzten Häusern und leerstehenden Fabrikhallen, es läuft immer was, und die Lebensqualität ist top, denn niemand muss am nächsten Morgen aufstehen und arbeiten.

Mein WG-Zimmer kostet monatlich 300 Stutz. Kein Wunder, die Wohnung ist eine Bruchbude, der Putz blättert in tellergrossen Stücken von der Decke, im Bad röchelt und faucht ein gasbetriebener Durchlauferhitzer. Direkt vor dem Haus, auf der Hardbrücke, donnern die Lastwagen über die Transitroute, welche die Stadt mitten entzwei schneidet.

Einer meiner beiden Mitbewohner ist Markus Freitag. Ein Typ mit feiner Ironie, der stets etwas leiser spricht als meine anderen, überdrehten Freunde. Und ganz seltsam: Markus raucht nicht, er kifft nicht, und Alkohol scheint ihm auch nicht viel zu bedeuten. Hihi, die Anzeichen einer Schwangerschaft?!

Ich erfahre es, als er an einem grauen Nachmittag mit Fahrrad und Anhänger aus Schlieren zurückkommt, wo er bei einer Speditionsfirma eine alte Lastwagenplane geholt hat. Er schleppt das sperrige, stinkende Ungetüm durchs Treppenhaus hoch und zieht es mit einem letzten Kraftaufwand in unsere gute Stube. «Ich habe vor, daraus eine Tasche zu machen», sagt er.

Wahrscheinlich schaue ich ihn ziemlich perplex an. Eine Tasche. Für Fahrradfahrer, aber auch sonst praktisch. Alles aus gebrauchtem Zeug wie der Plane und Fahrradschläuchen und Autogurten. Okay. Eine recht spezielle Idee.

Ideen werden unter meinen Freunden ja ständig diskutiert – Ideen für Filme, Kunstprojekte und Romane. Grafiker sind wir ohnehin schon, doch nun würden wir etwas Grosses und Bedeutendes erschaffen und damit vielleicht sogar berühmt werden. Alles ist möglich, wir haben noch endlos Zeit, da muss man ja nicht gleich heute loslegen.

In seinem Zimmer zwischen Matratze und Stereoanlage breitet Markus die gewaschene LKW-Plane aus und zeichnet ein Schnittmuster darauf. Das Baby nimmt allmählich Formen an. Gregor, der andere Mitbewohner, erkennt den Ernst der Lage. Er legt einen Zettel mit der Nachricht seiner Kündigung auf den Küchentisch und verschwindet zu seiner Freundin. Ich hingegen erlebe die langen Monate bis zur Geburt in ihrer ganzen Beschwerlichkeit mit.

Unsere Wohnung verwandelt sich in eine Taschenmanufaktur. Stehe ich morgens – oder wohl eher gegen Mittag – auf und will eine Dusche nehmen, schwimmen in der Badewanne Stücke von LKW-Planen in einer schwärzlichen Brühe. Es riecht übel nach Abgasen und Feinstaub und den Dämpfen von PVC-Weichmachern. Also besser gleich zum Kaffee. Der Flur ist zugestellt mit Kartons voller Fahrradschläuche, ich quetsche mich daran vorbei in die Küche. Hier rattert von früh bis spät eine Industrienähmaschine, die den Strassenlärm mühelos übertönt. Markus lässt sich beim hochkonzentrierten Nähen nur kurz unterbrechen, und er nutzt den Moment, um mich beiläufig zu fragen, ob ich heute schon was vorhabe. Es müssten noch mehr Planen zugeschnitten werden.

Inzwischen ist Daniel von seiner USA-Reise zurückgekehrt und hat sich im letzten freien Winkel der Wohnung einen Arbeitsplatz mit Computer und Drucker eingerichtet. Der zweite Elternteil entwickelt eine Datenbank für Bestellungen, Lieferungen, Materiallager, usw. Ich habe keine Ahnung, ob er hier eingezogen ist oder ob er bloss nächtelang durcharbeitet. Ob die beiden Brüder überhaupt je schlafen? Alles ist im Ausnahmezustand, und ich weiss nur, dass es naturgemäss nicht ewig so weitergehen wird.

Irgendwann halte ich dann die Geburtsanzeige in der Hand. Siebdruck auf LKW-Plane, 20 x 10 cm. SCHWERVERKEHRBAR, Do 24. März ab 1830 Uhr auf der Hardbrücke.

Bei Getränken, die aus Benzinkanistern ausgeschenkt werden, auf dem Gehsteig neben der Stadtautobahn erblickt die FREITAG -Tasche das Licht der Welt. Es wird gekauft, getrunken und geschwatzt. Wenn ich das Leben zurückspulen und etwas anders machen könnte, würde ich wohl eine Kamera mitnehmen und den historischen Moment dokumentieren. Doch so habe ich einzig schöne Erinnerungen, was auch wunderbar ist.

Längst sind die Leiden meiner Zeit in der Wohngemeinschaft mit den Freitag-Brüdern in den Hintergrund getreten, und es überwiegt die Freude, dass ich dabei war. Aus den vieldiskutierten grossen Ideen wurden ein paar Kurzgeschichten, Kurzfilme und sonstige Versuche – doch die FREITAG-Tasche ist weltberühmt. Das liegt nicht an der Natur ihrer Idee, auch wenn diese super ist. Dass aus FREITAG so viel geworden ist, liegt in der Hauptsache an ihren fantastischen Eltern, Daniel und Markus. Sie haben immer alles für ihr Kind getan und hatten stets ein untrügliches Gespür dafür, was für seine Entwicklung das Beste ist.

Heute ist FREITAG erwachsen und Synonym für den Aufstieg Zürichs zur stylischen und lebendigen Metropole. FREITAG steht für Innovationskraft, für Kreativität und Umweltbewusstsein. Doch das ist eine andere Geschichte, die FREITAG-Story, und die zu erzählen, überlasse ich den Marketingprofis von FREITAG.